Churer Bischof vereitelt Toleranz in Netstal

Von Hans Speck

Man kann die Netstaler Katholiken durchaus als Vorreiter der Ökumene betrachten. Im Jahre 1913 nämlich wollte der katholische Kirchenrat im Zusammenhang mit einer notwendigen Innenrennovation der evangelischen Kirche seinen Brüdern in christlichem Glauben beistehen und seine Kirchenräume für den Gottesdienst entgegenkommend zur Verfügung stellen. Ein bischöfliches Veto aus Chur beendigte leider dieses gut gemeinte Vorhaben.

 

Wie sich die Geschichte doch ähnelt. War es im Jahre 1913 ein Veto des Churer Bischofs Gregorius von Grüneck, welches eine Zusammenarbeit unter christlichen Glaubensgenossen - man nennt dies heute Ökumene - verhinderte, ist das christliche Gedankengut der heutigen katholischen Obrigkeit in Rom offenbar noch genau  so hinterwäldlerisch wie damals. Der deutsche Papst Benedikt XVI brüskierte im Jahr 2007 mit seiner Aussage, es gäbe nur eine wahre Kirche, nämlich die katholische, alle christlichen Glaubensgemeinschaften und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Man spricht heute von einem herben Rückschlag der Ökumene. Doch konzentrieren wir uns auf jene Geschichte, welche damals vor allem in den Printmedien landesweit für Schlagzeilen sorgte.

 

Am 27. April 1913 beschloss die evangelische Kirchgemeindeversammlung Netstal, eine Renovation der Kirche im Innern vorzunehmen. Die Renovation umfasste das Weisseln der Wände, die Einführung des elektrischen Lichtes mit vier grossen Leuchtern, des elektrischen Antriebes der Orgel und Wandfüllungen links und rechts der Kanzel mit den Bildnissen von Zwingli und Calvin. Diese Wandfüllungen wurden bei der letzten Renovation auf Geheiss des Denkmalschutzes wieder herausgerissen. Der katholische Kirchenrat von Netstal hatte in entgegenkommender Weise den Reformierten für ihren Gottesdienst die katholische Kirche, wie das auch schon in den Jahren 1810 und 1868 geschehen war, zur Verfügung gestellt. Wer weiss, vielleicht war das sogar ein Anfang des ökumenischen Denkens? Dieser Beschluss wurde jedoch durch den Churer Bischof Gregorius Schmid von Grüneck (1851 – 1932) mittels einer bischöflichen Verfügung rückgängig gemacht. In dieser Verfügung wurden die Netstaler Katholiken vom Bischof mit dem Banne bedroht, falls sie auf ihrem Beschluss beharren sollten.

 

In der Tagespresse, auch ausserhalb des Kantons, wurde über das bischöfliche Vorgehen heftig diskutiert. Die Reformierten verzichteten darauf hin auf das Anerbieten der Katholiken, um ihnen keine Unannehmlichkeiten mit der bischöflichen Obrigkeit zu bereiten. Der evangelische Gottesdienst fand im Anschluss während 16 Wochen in einem Schulzimmer statt. Das Humor- und Satire-Magazin „Nebelspalter“ vom 13. Mai 1913 / Heft 22 widmete diesem Thema ein Gedicht mit 8 Strophen. Das Gedicht wurde von einem A.J. verfasst.

 

 

Netstaler Kirchenverweigerung

 

Herr Gregorius von Grüneck

Du wackerer Bischof von Chur.

Dir winde ich heute ein Kränzlein,

Wenn auch ein stachliges nur.

 

Wohl schmückt dich die Bischofs-Soutane,

Die Inful, das Kreuz und der Stab

Doch vom Geiste Jesu Christi

Geht dir jeder Funke ab.

 

Wohl hast du vielleicht den Glauben,

Der Berge versetzen kann.

Doch dir fehlt das Beste: Die Liebe,

Du armer Gottesmann.

 

Es hätt‘ der Katholischen Kirche

Zu Netstal im Glarnerland

Wohl nichts geschadet, wenn drinnen

Gepredigt ein Protestant.

 

Ihr nehmt ja zum Bau eurer Kirchen

In der Schweiz und der ganzen Welt

Ohne Angst vor einer Entweihung

Doch auch protestantisches Geld!

 

Herr Bischof, schämt euch ein wenig

Und klopfet ans sündige Herz –

Ihr seid eine klingende Schelle

Nur, und ein tönendes Erz.

 

Wenn ihr dereinst gestorben

Und tretet vor Gottes Thron

Und kommt diese Sache zur Sprache,

Wird’s heissen: „Jaja – ich weiss schon“

 

„Gewiss – nun freilich - sehr richtig"

Sie handelten ganz korrekt.

Och entschuldigen Sie Herr Bischof

Schön war es nicht, mit Respekt.

 

A.J.