Von Hans Speck
Immer wieder erschütterten kriegerische Ereignisse das Land Glarus. Herausragend die Schlacht von Näfels am 8. April 1388. Der Ablauf der Schlacht ist hinreichend bekannt. Weitere Details sind aus dem Fahrtsbrief zu erfahren. So steht dort unter anderem, dass an diesem besagten 8. April die Schwyzer dreissig Männer Verstärkung über den Pragel sandten. Nach dem Nachtlager im Richisau fielen wenige Stunden später vier dieser ersten mit Namen überlieferten Klöntaler Besucher auf dem Schlachtfeld von Näfels: Ueli Wattwiler und der Gander aus Uri, Rudi Schelbert und Jenni zum Bach von Schwyz.
Der Feldzug von General Suworow
Kriegsgeschichte machte ebenso der viel beschriebene Alpenfeldzug der russischen Armee von General Wassily Suworow Ende September 1799. Die Russen konnten sich einzig über den Pragelpass und das Klöntal aus der Zange der Feinde im Muotathal retten, weil ihnen der vorgesehene Marsch nach Schwyz versperrt war. Wie aufreibend die Kämpfe im Klöntal gewesen sein müssen, ist aus einem Bericht des französischen Generals Mortier ersichtlich, der am 5. Oktober 1799 mit seiner Halbbrigade Suworow verfolgte und dem Klöntalersee
entlang rund 100 Russen gefangen nahm, zudem 1800 Gewehre, 8 Kanonen und eine Menge Maultiere und Pferde vorfand, welche die Truppen Suworows zurückgelassen hatten. Noch 1894 entdeckte man im Güntlenau grosskalibrige Kanonenkugeln mit dem zaristischen Doppeladler. Der Historische Verein des Kantons Glarus wollte damals mit Tauchern, die im Walensee ausgebildet worden waren, nach Kanonen und vor allem nach der Kriegskasse Suworows suchen. Erfolglos, wie sich herausstellte.
Über die legendäre Kriegskasse kursieren bis heute mögliche, aber auch unmögliche Geschichten. Sicher ist indes, dass am 13. August 1857 ein Enkel des Generals, Fürst Suworow, den Spuren seines Grossvaters nachging und die Besichtigung des Klöntals mit einem Besuch im Vorauen abschloss.
Das Glarnerland im Schlachtgetümmel
Im Frühling 1799 verbündeten sich Österreich, England und Russland, um gegen Frankreich Krieg zu führen. Ein Teil dieser Kämpfe wurde in den Glarner Alpen ausgetragen. Am 19. Mai erschien ein österreichisches Heer unter Feldmarschall Hotze auf dem Kerenzerberg und vertrieb die Franzosen aus dem Linthtal. Die Glarner begrüssten die Österreicher als Befreier. Schon am 30. August drangen die Franzosen unter General Massena von Bilten her und über den Pragel wieder ins Glarnerland ein und beherrschten es in wenigen Tagen wieder. Feldmarschall Hotze fiel bei Schänis. Die Verbündeten wollten die Franzosen ganz aus der Schweiz vertreiben. Österreicher und Russen griffen im Mittelland an. Der russische Feldmarschall Alexander Suworow plante, aus Italien über den Gotthard dem Feind in die Flanke zu fallen. Die 20‘000 Soldaten Suworows trafen – unter
steten Kämpfen gegen die Franzosen – planmässig über Gotthard und Kinzigpass im
Muotathal ein. Hier erfuhren sie von der Niederlage ihrer Waffenbrüder bei Zürich und mussten versuchen, auf dem kürzesten Weg nach Österreich zu gelangen Sie überquerten kämpfend den Pragelpass und drängten die Franzosen nach Netstal und Mollis zurück. Der Durchbruch nach dem Walenseetal gelang nicht. Suworow hielt in einem kleinen, heute noch stehenden Häuschen* zwischen Netstal und Glarus Kriegsrat und entschloss sich, sein Heer über den Panixerpass ins Vorderrheintal zu führen.
* Für Infos zum Suworow-Häuschen bitte hier klicken.
Die wildesten Geschichten
Über den kurzen Aufenthalt der Russen in unserem Dorfe erzählt man sich noch heute die wildesten Geschichten. Beispielsweise die Kosaken mit ihren weiten blauen Hosen, ihren roten Mützen und ihren flinken, struppigen Pferden blieben als seltsame Erscheinungen in den Köpfen der Netstaler hängen.
Nichts und niemand war vor diesen komischen Gestalten sicher. Man erzählt, dass sie mit ihren Lanzen das unreife Obst von den Bäumen herunter geschlagen, die Kartoffeln aus dem Boden herausgewühlt und die geraubten Hühner und Schweine erstochen hätten. Das Fleisch brieten sie oder assen es auch roh mit den noch dämpfenden Gedärmen. Wein, Branntwein, Weingeist und Spiritus tranken sie in gleicher Weise. Seifen und Talgkerzen verschlangen sie als Leckerbissen. In ihrem Heisshunger durchwühlten sie die Hürbenen nach etwas Essbarem und verzehrten die ungewaschenen faulenden Abfälle, welche die Metzger auf die Miststöcke geworfen hatten. Einer bemühte sich vergebens, Fegsand weich zu sieden, den er in der Küche gefunden hatte und als Mus zubereiten wollte. Andere rissen den Bäckern das halbfertige Brot aus den Öfen und verzehrten es heiss. Wer nicht bereit war, das Verlangte den Russen auszuhändigen, hatte das Schlimmste zu befürchten. Widerstrebendes nahmen sie mit Gewalt. Misshandlungen der Bevölkerung durch Russen konnten jedoch nie nachgewiesen werden.
Flucht über den Panixerpass
Am 5. Oktober morgens drei Uhr verliess das angeschlagene Heer unser Dorf Netstal, verfolgt von den Franzosen. In der Dämmerung und bei Schneetreiben erreichten die Russen Matt und Elm. Der 70-jährige Suworow nahm Quartier im stattlichen Wohnsitz des kurz zuvor verstorbenen Landvogts Freitag. Grossfürst Constantin übernachtete in einem Bauernhäuschen im Elmer Unterdorf. Die Armee war bunt gemischt: Russen, Kalmücken, Kosaken und Tataren, deren Sprachen man in Elm nicht verstehen konnte. Trotz der strengen Disziplin unter Suworow kam es vereinzelt zu Plünderungen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. Morgens um zwei Uhr machte sich Suworow wieder auf den Weg. Elmer Bauern wurden gezwungen, Führerdienste zu leisten, rissen aber auf der Jetzalp aus. So mussten sich die Russen den Weg selbst suchen. Der Neuschnee lag fusstief. Zahllose Soldaten glitten auf dem vereisten Saumpfad aus und stürzten in die Tiefe. Soldaten,
Generäle und Offiziere waren fast barfuss, hungrig, entkräftet und bis auf die Knochen durchnässt. 300 Lasttiere gingen jämmerlich zugrunde. Alle Geschütze mussten in die Tobel geworfen werden. Gegen Abend erreichte die Vorhut die Passhöhe. Kosaken zerbrachen ihre Lanzen, um für Suworow ein Feuer zu entfachen. Viele Soldaten erfroren. Der Abstieg war nicht weniger gefährlich. Soldaten stürzten in die Schluchten unterhalb der Alp Ranasca. Vier Tage später stiess Suworow mit seiner erschöpften und dezimierten Armee über die Luziensteig
endlich zu seinen Verbündeten in Feldkirch.
Quellennachweis: Auszug aus Paul Thürer/Hans Thürer „Geschichte der Gemeinde Netstal“
Informationen zur Schlacht von Glarus: hier klicken