Texte von Hans Speck und Jakob Kubli
Das Kraftwerk am Löntsch im Kanton Glarus ist das erste grössere Akkumulierwerk der Schweiz und bildete zusammen mit dem Aare-Kraftwerk Beznau AG die Wiege der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG, kurz NOK, die im Oktober 2009 in AXPO AG umbenannt wurde. Mit den beiden Kraftwerken wurde bereits anfangs des 20. Jahrhunderts der erste Kraftwerkverbund der Schweiz verwirklicht. 1914 übernahm die NOK von der Erstellerin des Kraftwerks am Löntsch, der Motor AG, die zwischen 1905 und 1908 erbaute Anlage. Die Wasserkraftanlage wurde in den Jahren 1971 bis 1975 einer umfassenden Erneuerung unterzogen. Das Kraftwerk wird heute von der Netzleitstelle in Baden ferngesteuert; für den Unterhalt und den Betrieb steht neben einer Strassenverbindung (1905-1908) zum Klöntalersee seit 1972 eine Seilbahn zum Wasserschloss zur Verfügung. Die beiden alten Maschinenhäuser wurden umgebaut und sind heute teilweise museal genutzt.
Staumauer am Klöntalersee
Die Wasserrechte am Löntsch, ursprünglich im Eigentum der Löntschkorporation, wurden im Jahre 1904 von der Motor AG in Baden erworben. Die Motor AG und ihr damaliger Direktor, Ingenieur Agostino Nizzola aus Lugano, legten im gleichen Jahr ein geniales Projekt vor. Dieses beinhaltete, dass beim Rhodannenberg der Klöntalersee durch einen 217 Meter langen Erddamm gestaut werden sollte. Um ein Überlaufen des Sees zu verhindern, plante man einen Überlaufturm mit einem Grundablassstollen in den Löntsch. Rund siebenhundert Meter westlich davon am "Vorderen Ruestelchopf“ sollte die Wasserfassung entstehen. Von dort aus, genau gesagt sieben Meter unter dem ursprünglichen Seeniveau, war geplant, in den Wiggisfelsen einen 4,13 Kilometer langen Druckstollen zu treiben. In diesem würde das Betriebswasser mit zwanzig Kubikmetern pro Sekunde bis zum Wasserschloss gelangen, von wo es in eisernen Druckleitungen zum 329 Meter tiefer gelegenen Turbinenhaus in Netstal fliessen sollte. Das Projekt wurde in der Folge genau so ausgeführt.
Wendepunkt in der Energieversorgung
Am 31. Oktober 1904 erteilten die Gemeinden Glarus, Riedern und Ennenda der Motor AG die Konzession für die
Ausnützung der Wasserkräfte des Löntsch. Die Ablösung der Wasserrechte der Gemeinde Netstal erfolgte vertraglich am 7. Mai 1905. Letztere erteilte auch die Bewilligung zur Bewirtschaftung des Klöntalersees bis Kote 848,2 Meter über Meer. Das in der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg grösste Akkumulierwerk wurde in den Jahren 1905 bis 1908 von der Motor AG errichtet, die Arbeiten am Staudamm dauerten bis 1911.
Der Sommer 1908 ist mit den ersten Stromlieferungen ab dem Löntschwerk ein Wendepunkt in der Energieversorgung des Glarner Mittellandes. Von dieser Gesellschaft ist das Werk am 1. Oktober 1914 in das Eigentum der neugegründeten NOK AG übergegangen. Im Jahre 1915 bewilligte der Glarner Regierungsrat der NOK eine Höherstauung um 1,5 Meter. Der nutzbare Seeinhalt beträgt heute 39,8 Mio. Kubikmeter bei einem
Einzugsgebiet von 83km2.
Bilder aus der Bauzeit (1905-1908)
Bilder aus: Elektrizitätswerk am Löntsch. Sonderabdruck aus der Schweizerischen Bauzeitung, 1910
Bau der neuen (höher gelegenen) Strasse dem See entlang.
Trockenmauer an der neuen Strasse.
Werkplatz Unterwäldli. Bild aus der Fotosammlung Fritz Weber
Für Informationen zu diesem Werkplatz (Italienerdörfli) bitte hier klicken.
Arbeiterdorf Büttenen oberhalb des Militär-Magazins an der Klöntalstrasse, nach dem Bau vollständig abgerissen.
Ironie des Schicksals: Seit 1889 das Telefon, aber erst seit 1958 elektrischen Strom
Seit 1889 gab es das Telefon im Klöntal, zuerst in den Kurhäusern: "Seerüti", später "Rhodannenberg","Vorauen", "Hotel & Pension Klöntal" (jetzt Niederurner Ferienheim), Gasthaus "Klöntal im Plätz" und dem Molkenkurhaus
"Richisau". Es mag als Ironie des Schicksals gedeutet werden, dass dort, wo die Wasser eines ganzen Tales in einem klaren Bergsee zusammenfliessen und von dort gischend und schäumend durch die Druckleitungn auf die Turbinen des Löntschwerkes in Netstal gejagt werden, um Strom zu erzeugen, ein ganzer Talabschnitt fünfzig Jahre ohne das Produkt lebte, das aus seinem Wasser erzeugt wird. Dies schrieb 1958 der damalige Redaktor der Neuen Glarner Zeitung, nachdem sich am Vortag viele Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft im Vorauen zusammengefunden hatten. In drei Gaststätten, 14 Bauernhöfen, 25 Ställen und 26 Ferienhäusern wurden damals die Öllampen und Stall-Laternen endlich durch elektrisches Licht ersetzt.
Erneuerung des Kraftwerks am Löntsch - Ein Wahrzeichen von Netstal verschwindet
Nach über 60-jähriger Betriebsdauer wurde das Kraftwerk Löntsch von 1971 bis 1975 umgebaut, jedoch ohne wesentliche Änderungen am Gesamtkonzept aus dem Jahre 1904. Bei der Erneuerung wurde der sichtbarste Teil des Kraftwerkes, die Druckleitung vom Wasserschloss bis zur Zentrale, abgebrochen und unterirdisch verlegt. Da das alte Löntschwerk bis zur Fertigstellung der neuen Anlagen weiter in Betrieb war, konnten die Druckleitungsrohre erst im Frühsommer 1976 abgebrochen werden. Damit verschwand ein markantes Wahrzeichen von Netstal. Neu erstellt wurden nebst dem unterirdischen Druckschacht mit den Druckleitungen ein Teil des Druckstollens, das Wasserschloss, die Zentrale mit Unterwasserkanal und die 50 kV-Freiluftschaltanlage. In der heutigen Zentrale sind zwei vertikalachsige Francis-Turbinen mit einer installierten Leistung von je 40 MW (1 MW gleich 1000 kW) bei einem Schluckvermögen von 12,5 Kubikmetern pro Sekunde installiert, ferner eine horizontalachsige Pelton-Turbine von 8 MW bei 2,5 Kubikmetern pro Sekunde. Die maximal mögliche Kraftwerksleistung beträgt aber nur 60 MW, da der Druckstollen die Wassermenge auf 20 Kubikmeter pro Sekunde limitiert.
Das technisch erneuerte Kraftwerk wurde damals vom Unterwerk Grynau aus ferngesteuert. Mit den Konzessionsgemeinden konnte bis zum Jahr 2038 ein Verzicht auf die Geltendmachung des Rückkaufsrechtes am Löntschwerk vereinbart werden.
Quellenangabe zu den Texten:
Broschüre "Seit 100 Jahren Strom im Glarner Mittelland" von August Berlinger, Glarus.
Bilder von der Erneuerung des Löntschwerks (1971 - 1975)
Fotos: Jakob Kubli
Die heilige Barbara am Weg nach Aueren
von Kurt Meyer
Beim Bau des Löntschwerkes (1905 bis 1908) musste ein über vier Kilometer langer Stollen vom «Vorderen Ruestelchopf» im Klöntalersee zum Wasserschloss in der Wiggiswand getrieben werden. Von diesem Wasserschloss wurde das Wasser durch die Druckröhren, die heute nicht mehr zu sehen sind, auf die Turbinen geleitet. Wie es bei Bergleuten üblich ist, wird beim Durchschlag als Erstes die Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, durch den Spalt getragen.
Diese Statue, die beim Durchbruch des Stollens dabei war, steht heute in einem Schrein am Weg nach Aueren, dort, wo am Nationalfeiertag die Schweizer Fahne gehisst wird und in der Adventszeit ein Stern leuchtet. Meistens brennen im Schrein bei der Statue Kerzen.