Klosterschule zum Dritten

 Von Hans Speck

 

Ein weiteres Müsterchen von unserem Gesangslehrer Pater Virgil, alias Habi, passierte kurz vor Weihnachten. Wie gewohnt versammelten sich alle Klosterschüler an einem Dienstagmorgen in der Klosterkirche Mariaburg zur Heiligen Messe. Weihnachtslieder waren angesagt. Auch an diesem Dienstag hatten wir einen kleinen Anschlag auf unseren Habi geplant. Innerhalb der Klassen hatten wir nämlich vereinbart, dass wir beim Absingen des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ ganz zufälligerweise nach dem Orgelvorspiel von Habi den Einsatz verpassen. So sassen sämtliche Klosterschüler schön vereint in der Klosterkirche. Pater Raymund zelebrierte vorne am Altar die Messe, während Organist Habi eine Fuge der anderen folgen ließ. Es kam der Moment, wo dieser das „Stille Nacht“ mit einem rauschenden Vorspiel intonierte. Nun sollte der Einsatz des Gesamtchores erfolgen. Leider hielten sich einige unserer Schulkollegen nicht an die Abmachung und stimmten das altehrwürdige Weihnachtslied zu unserem Entsetzen trotzdem an. Offenbar hatten diese Verräter plötzlich kalte Füsse bekommen. Die Mehrheit unserer Schulkollegen aber hielt sich an die Abmachung und verpasste den Einsatz. Was nun folgte, war ein Wutausbruch unseres Gesangslehrers, wie wir ihn noch selten in einer solchen Intensität erlebt hatten. Wutentbrannt unterbrach dieser sein musikalisches Vorspiel. Dann herrschte einen Moment lang betretene Stille im Gotteshaus, bevor oben auf der Empore ein feuerspeiender Vulkan explodierte. Seine derbe Wortwahl, auf deren Detail wir gerne verzichten, schockte uns alle zutiefst. Der heftig zugeschlagene Deckel der Orgeltastatur war gleichzeitig das untrügliche Zeichen, dass unser Habi von uns nun endgültig genug hatte. Pater Raymund, der durch die Liturgie führte, gab sich alle Mühe, den Tobenden zu beschwichtigen. „Mässigen Sie sich bitte, Pater Virgil, Sie befinden sich hier in einem Gotteshaus“, ermahnte er den Zürnenden. „Gaht mi ä Chaib a“, entgegnete der Habi seinem Chef „Römi“. Mit hochrotem Kopfe verlies der Tobende eilends die Klosterkirche.

 

Im Nachhinein muss ich gestehen: Der Anschlag von uns war ziemlich gemein. Am letzten Schultag habe ich den Habi gebeten, unseren Ausrutscher von damals zu verzeihen. Gütig lächelnd versicherte er mir: „Mach dir kä Sorge, liebe Hans. Ihr sind halt schu chaibe Luusbuobe gsii, aber es isch trotzdem schüü gsii mit eu. Au Dir Hans, wünsch ich viel Glück und Gottes Segen.“ So war er eben, unser Pater Virgil, alias Habi: Ein herzensguter, frommer Geistlicher, aber wenn er wütend war, durchaus ein Mensch mit Facetten, und solche dürfen wohl auch die Diener Gottes haben.

 

 

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