Klosterschule zum Ersten

Von Hans Speck

 

Nachdem ich die Aufnahmeprüfung in die Klosterschule Mariaburg in Näfels bestanden hatte, war mein Vater so richtig stolz auf seinen Filius. Auf Grund meiner Flausen während meiner Pubertät war das eher eine Seltenheit. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich meinen Eltern endlich wieder einmal eine Freude machen konnte. So erlebte ich den ersten Schultag in der Klosterschule. Gemeinsam mit anderen Schulkollegen, Schulmappe und grüner Klosterschulmütze besammelten wir uns mit unseren Velos – damals nur mit drei Gängen – am nördlichen Dorfausgang und fuhren der Hauptstrasse entlang nach Näfels. Das sollte sich in den nächsten Jahren tagtäglich wiederholen, zweimal nach Näfels und wieder retour, und dies bei Wind und Wetter, im Sommer und im Winter, bei Affenhitze und Schneegestöber; bis zu dem Tag, an dem ein Schulkollege bei heftigem Schneetreiben zwischen Netstal und Näfels von einem Kleinlastwagen überfahren und schwer verletzt wurde. Nach diesem Ereignis mussten wir auf Anordnung der Klosterschulleitung den Winter hindurch die Bahn benutzen.

 

Aus meiner Klosterschulzeit gibt es diverse Geschichten zu erzählen. Drei Müsterchen will ich unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten:

 

Unsere Lehrer auf die Schippe genommen

Immer am Schmutzigen Donnerstag hatten wir Klosterschüler die einmalige Gelegenheit, uns zu verkleiden und unsere Kapuziner und Lehrer auf die Schippe zu nehmen. Eines dieser „Opfer“ war unser Gesangslehrer Pater Virgil, unter uns Klosterschülern besser bekannt als Habi. Pater Virgil oder eben Habi war ein kleinwüchsiger, quirliger, zuweilen extrem nervöser Kapuziner. Prägnant, ja beinahe Angst einflössend, war sein stechender Blick und sein manchmal überschäumendes Temperament. Berüchtigt waren auch seine spontanen Wutausbrüche. Zugegeben, meistens waren wir Schüler daran schuld und das perfide an der ganzen Sache war, dass wir noch den Plausch an seinen emotionalen Ausbrüchen hatten, vor allem wenn der arme Habi auf einem Stuhl stehend uns die Leviten verlas und uns mit deftigen Schimpfwörtern abkanzelte. Je mehr sich der Habi ereiferte, desto grösser war unser Plausch. Zurück zum Schmutzigen Donnerstag. Die Idee kam von einem Schulkollegen. Zufälligerweise hatte ich die Fähigkeit, den Habi täuschend echt zu imitieren. „Du musst unbedingt den Habi spielen“, forderten mich meine Schulkollegen auf. „Ich darf doch nicht einen Geistlichen und Lehrer veräppeln“, war meine Antwort, „sucht euch gefälligst einen anderen. Ich möchte keine Probleme, weder mit dem Habi noch mit den anderen Lehrern“. Damit war das Thema vorerst aufs Eis gelegt. Doch ich hatte nicht mit der Hartnäckigkeit meiner Schulkollegen gerechnet. Bis zwei Tag vor dem Schmutzigen Donnerstag wurde ich bearbeitet: „Unsere Lehrer verstehen schon Spass und dir passiert bestimmt nichts. Wir weihen doch einfach den ‚Römi‘ in das Geheimnis ein.“ Der Römi, mit richtigem Namen Pater Raymund, war zugleich Präfekt der Klosterschule und hatte stets ein offenes Ohr für uns Schüler. Gesagt - getan. Zwei meiner Schulkollegen verlangten eine Audienz bei Pater Raymund und offenbarten ihm unser Vorhaben. Der Römi fand die Idee eigentlich ganz lustig und gab seinen Segen dazu. Nach dem Einverständnis des Klosterschul-Höchsten waren meine letzten Zweifel verschwunden und ich erklärte mich einverstanden, den Habi zu spielen. Was jetzt aber noch kurzfristig organisiert werden musste, war eine Kutte, ein Strick und ein Klebebart. Schliesslich sollte alles echt aussehen. Guter Rat war teuer!

Plötzlich hatte ich eine Erleuchtung, man könnte fast behaupten eine geistige Eingebung: „Ich hole beim Habi direkt das Einverständnis, ihn zu imitieren. Gleichzeitig frage ich ihn, ob er mir für diesen Auftritt eine seiner Kutten ausleiht“. Zu meinem Erstaunen händigte er mir ohne Umschweife und lästige Nachfragen eine seiner Arbeitskleidungen aus, gab mir aber gleichzeitig den Rat „Muesch es dä aber nöd übertriibe“. „Kä Sorg Herr Pater“, versicherte ich ihm glaubhaft.

Nachdem nun mein Auftritt von höchster Stelle aus abgesegnet war, verwandelten meine Schulkollegen am Vorabend des SchmuDo die Bühne des Singsaals in ein Klassenzimmer mit drei Bänken und drei Schulpulten. Mitschüler von der Klasse 2a sollten meine Schüler sein. Eine kurze Probe sollte genügen! So kam der ominöse Tag des SchmuDo. Schüler und Professoren versammelten sich im Singsaal. Die Nervosität bei uns stieg ins Unermessliche. Der Vorhang ging auf und ich versetzte mich in die Rolle des Habi. Lautes Gelächter bestätigte mir, dass ich meine Rolle offenbar gut spiele. Zwischendurch ein Blick auf Pater Virgil, und ich meinte, ich hätte bei ihm ein leichtes Schmunzeln um seine Mundwinkel gesehen. Tosender Applaus am Schlusse unserer Vorstellung war verdienter Lohn für alle Beteiligten. Kurz nach meinem Auftritt überreichte ich unserem Singlehrer Habi seine Kutte und den dazu gehörenden Strick. Ich bedankte mich für sein freundliches Entgegenkommen und verabschiedete mich. Ich höre immer noch seine Worte: „Hans, häsch es guet gmacht, fascht so guet we ich selber“.