Immer uf de Chliinä

Von Hans Speck

 

Die nachstehende Geschichte könnte aus einer Novelle in Gottfried Kellers «Die Leute von Seldwyla» stammen. Sie ist tatsächlich anfangs der Sechzigerjahre am Fusse des Wiggis und nicht in Seldwyla passiert. Tatorte waren das Gemeindehaus und der kleine Saal im Restaurant Rathaus. Die Protagonisten dieser Geschichte sind fünf Buben und drei Mädchen im Alter zwischen 10 und 12 Jahren, ein Angestellter der Gemeinde und eine temperamentvolle Wirtin.

Meine Freunde - Otto von der Pension, Hansjakob vom Staatskassier, Briefträgers Urs, mein Nachbar und Kumpel Urs, Fred und Rina vom Rathaus und deren Freundin Margrit - und ich hatten vereinbart, an einem der schulfreien Mittwochnachmittage im kleinen Säli des «Rathaus» ein Kasperli-Theater aufzuführen. Zusätzlich im Programm waren ein Micky Maus- und als Höhepunkt ein Charly Chaplin-Film vorgesehen; ohne Zweifel ein tolles Programm für alle Kindergärtner und Primarschüler bis zur 2. Klasse. Saal und Infrastruktur wurden von der Wirtin Gina, Mutter von Fred und Rina, gratis und franko zur Verfügung gestellt.

Mit viel Enthusiasmus und Eifer bereiteten wir uns auf diesen mit Spannung erwarteten Kinder-Nachmittag vor. Wir malten wie verrückt farbenfrohe Plakate, schrieben uns die Finger für die Einladungen wund und legten uns so richtig ins Zeug. Kulissen für das Kasperli-Theater wurden gemalt und aufgestellt. Beim Bestuhlen wurde buchstäblich jeder zur Verfügung stehende Zentimeter des sonst schon kleinen Rathaus-Sälis ausgenutzt. Die Mädchen waren eifrig daran, in kleinen «Chachäli» Knorr-Haferflöckli mit Zucker und dazu literweise Tee bereitzustellen. Beides war im Eintrittspreis inbegriffen und wurde in der Pause unserem Kinder-Publikum verteilt. Freund Otto hantierte an seinem von Hand betriebenen Filmprojektor und hinter dem Kasperli-Kabäuschen probten der Hansjakob und ich irgendein Stück, wo böse Hexen, schöne Prinzessinnen, Räuber, Könige und Polizisten eine Rolle spielten; in der Hauptrolle natürlich der unverwüstliche Kinderliebling Kasperli, der bekanntlich immer für Spektakel und Turbulenzen sorgt. Hansjakob und ich hatten das abenteuerliche Stück tagelang aus einer Textvorlage in einem SJW-Heft einstudiert. Es folgte Probe auf Probe – zurück blieb ein Berg von Schulaufgaben, sehr zum Missfallen meines Vaters Julius.

Von unserem Vorhaben hatten in der Zwischenzeit auch Mitarbeiter des Gemeindehauses Wind bekommen. Jedenfalls beorderte einer dieser Mitarbeiter kurzerhand meinen Kumpel Fred und mich ins Gemeindehaus. «Hallo Jungs, ich gebe euch jetzt einen Bund Eintritts-Billette. Diese müsst ihr nach der Bezahlung an die Kinder abgeben. Wenn ihr alles Geld, das ihr eingenommen habt, schriftlich aufgelistet habt, kommt ihr am nächsten Freitag ins Gemeindehaus. Dort muss ich euch die Billett-Steuer verrechnen und diese wird von euren Einnahmen abgezogen». Mit seinem beeindruckenden Votum hatte uns dieser Gemeinde-mitarbeiter zünftig erschreckt. «Das kann doch nicht sein, dass uns die Gemeinde für den sonst schon kleinen Erlös die Billettsteuer verrechnet». Wir dachten zuerst, wir seien im falschen Film. Von uns Kindern von den sonst schon bescheidenen Einnahmen auch noch Steuern abzuziehen - unerhört und absolut unverständlich. Doch was sollten zwei kleine Buben gegen die Allmacht dieses unbarmherzigen Geldeintreibers machen? Alle Proteste verhallten in den heiligen Hallen des Gemeindehauses. Doch hatte dieser Herr im wahrsten Sinne des Wortes die Rechnung ohne den Wirt, respektive die Wirtin Gina gemacht. Nachdem wir diese unglaubliche Geschichte unserer Gastgeberin überbracht hatten, führte Ginas nächster Weg ins Gemeindehaus, wo sie sich den Steuereintreiber vorknöpfte und ihm eine gehörige Standpauke verpasste, die dieser wohl zeitlebens nie vergessen hat.

 

Als kleiner Trost blieb uns die erfreuliche Feststellung, dass wir an diesem besagten Mittwochnachmittag einen Publikumsaufmarsch verzeichnen konnten, von dem wir nicht einmal geträumt hatten. Wir wurden - ohne zu übertreiben - von den vielen Kindern überrannt. Das Rathaus-Säli drohte aus allen Nähten zu platzen. In Erinnerung bleiben mir die vielen erwartungsvollen, fröhlichen Kinder, die gespannt auf den Kasperli mit der roten Zipfelmütze warteten. Und unser pinkrotes Sparschwein bei der Eingangskasse nahm inhaltmässig gewaltig zu. Als Eintrittsgeld verlangten wir damals zwei Franken inklusive Pausenverpflegung und wir quittierten dies, wie von der Obrigkeit befohlen, mit einem Eintritts-Billett. Mit dem Mitarbeiter der Gemeinde haben wir einen Tag später zähneknirschend abgerechnet. Um das Wort «abgerechnet» nicht falsch zu verstehen: Wir meinten damit natürlich die Abgabe unserer sauer verdienten Schweizer Fränkli. Nach verlässlichen Aussagen soll der Ertrag der Billettsteuer für die Gemeinde so gross gewesen sein, dass sogar der Amtsschimmel vor Freude heftig gewiehert haben soll. 

 

 

zurück