von Hans Speck
Wir Netstaler dürfen uns wirklich glücklich schätzen, seit dem 27. Juni 1964 eine moderne, tolle Badi unser eigen zu wissen, wo wir der Hitze entweichen und uns abkühlen können. Zu meiner Zeit konnten wir Jungs von einer eigenen Badi in Netstal nur träumen. Für Abkühlung an heissen Sommertagen sorgten damals nebst der Altigerrunse und dem Schlattbach – sofern die beiden Gewässer Wasser führten, was im Hochsommer nicht immer der Fall war – auch unsere zahlreichen Brunnen im Dorf. Bei uns Jungs wurde der grosse Dorfbrunnen bei der alten Post – von uns auch Postbrunnen genannt – ganz in der Nähe der Katholischen Kirche bevorzugt. Der einzige Nachteil war, dass kaum einen Meter vom Brunnen entfernt der Verkehr der Landstrasse vorbeiführte, der allerdings damals nicht so stark frequentiert war wie heute. Stundenlang planschten und spritzten wir umher, so dass manchmal sogar vorbeifahrende Fahrzeuge von unseren Spritzorgien etwas abbekamen.
Ein anderer Brunnen, bei dem wir uns an heissen Tagen gerne vergnügten, war der Brunnen bei der Metzgerei Kamm-Vogel, auch Kreuzbühl-Brunnen genannt. Schon wegen dessen Grösse war dieser Brunnen zum Bade aber nicht so attraktiv wie der Postbrunnen. Viel spannender für uns war die Umgebung, besser gesagt die Nachbarschaft. Da lebte und wohnte ganz in der Nähe des Brunnens eine Frau Eleganti, welche vom Namen her ihren Ursprung in Italien vermuten liess. Im Volksmund nennt man « ä eleganti Frau» eine gut gekleidete Dame. Frau Eleganti war aber alles andere als eine besonders gut gekleidete Frau, geschweige denn eine attraktive Dame. Eigentlich war sie immer freundlich, ab und zu halt auch etwas mürrisch. Niemand konnte in ihre Seele blicken. Was sie aber überhaupt nicht ertrug und sie immer wieder fuchsteufelswild machte, war die Störung ihrer Ruhe. Deshalb sah sie es überhaupt nicht gerne, wenn wir auf dem Platz vor ihrem Hause spielten und dabei Lärm machten. Das liess sich aber bei fünf Kids wohl nicht verhindern. Vor allem gaben wir ihr mit unserer Herumspritzerei beim Brunnen gewaltig auf die Nerven. Frau Eleganti entwickelte dabei ein erstaunliches Stimmvolumen. «Haueds i Chübel!» rief uns die eher kleingewachsene, betagte Dame aus ihrem Fenster oder von der Holztreppe zu ihrem Hauseingang zu. «Chänd ihr nüd ämene andere Ort gu sudle und alles gu versprütze» keifte sie, wild mit ihren Armen gestikulierend. «Ihr sind eländi Luusbuebe, und wänn ihr nüd äne anders Ort häne güünd, säg ichs ücherem Vater», drohte sie und zeigte dabei demonstrativ ihren Zeigefinger.
Ihre Dohungen verpufften wie Wasser in der Wüste. Statt den Finger von der Brunnenröhre zu nehmen und mit der Herumspritzerei aufzuhören, ging’s erst recht ans Eingemachte. Ich muss es heute zugeben: Frau Eleganti wurde für uns zur Reizfigur, und manchmal taten wir nur so, als würden wir die Brunnenröhre zuhalten. Kaum erblickte sie uns, ging sofort ein Fenster auf und die Schimpftiraden gingen von neuem los. Sie mit Absicht auf die Palme bringen: das war natürlich überhaupt nicht in Ordnung, aber sagen Sie das mal Buben im Alter von acht Jahren. Es kam dann so weit, dass sich Frau Eleganti bei meinem Vater beschwerte, ich sei der Anführer und der grösste Lausbub in der Nachbarschaft. Das war natürlich weder für meinen Vater noch für mich etwas Neues. Es blieb bei einer Ermahnung meines Vaters und für einmal musste ich nicht wie sonst üblich, wenn ich wieder Mist gebaut hatte, «uuni Znacht i z’Bett».