Ich hatte Angst um meinen Vater!
Von Hans Speck
Ein Ereignis, an das ich mich zeitlebens erinnere, ist der Grossbrand von Riedern im Jahr 1955. Zeitlebens darum, weil ich als 6-jähriger kleiner Junge live mitverfolgte, wie die Feuerwehren aus Riedern, Glarus und Netstal mit vereinten Kräften versuchten, dem rasenden und zerstörerischen Element Feuer Paroli zu bieten und Leben zu retten. Was war geschehen?
Vier Frauen und ein Kind starben im Flammenmeer
Der 26. Oktober 1955 brachte Tod und Verderben in unsere Nachbargemeinde Riedern. In einem Fabrik- und Wohnungstrakt der alten Bleicherei an der Strasse auf dem Weg ins Klöntal war am Mittwoch um 16 Uhr Feuer ausgebrochen. Das mit grosser Brandbelastung behaftete Gebäude stand im Nu in Flammen. Einige Bewohner konnten glücklicherweise den alles zerstörenden Flammen und dem dichten Rauch rechtzeitig entfliehen. Für drei Frauen und ein Kind kam die Hilfe jedoch leider zu spät. Der legendäre Chefredaktor Hans Trümpy, bei der Leserschaft auch das «kleine t» genannt, schrieb anderntags in einem ausführlichen, eindrücklichen Bericht in den Glarner Nachrichten:
«Da lebt der Mensch in völliger Sicherheit, geht seiner Arbeit nach, isst und schläft, erwacht und so jeden Tag. Aber plötzlich wird er aus seiner Sicherheit aufgeschreckt, die Erde wankt, das Meer stürmt, Berge stürzen, Feuerflammen verzerren Menschenwerk. So war es gestern, als hohe Feuersäulen über Riedern, am Eingang ins Klöntal aufloderten, den Himmel mit jenem Teufelsrot färbten, das grausigschön ist».
Zurück zur Geschichte: Wir, das waren meine Freunde Koni, Frigg und Sigi und ich, spielten am besagten Mittwochnachmittag auf dem Postplatz auf der Nordseite der katholischen Kirche das bei uns Kindern beliebte «Schiitlispiel». Ich weiss nicht, ob die Kinder von heute noch wissen, was dieses Spiel beinhaltet und ob dieses überhaupt noch gespielt wird? Jedenfalls waren meine Freunde aus der Nachbarschaft, alle drei zwischen fünf und acht Jahren älter als ich, eifrig beim «Schiitlispiel». Plötzlich wurde dieses unterbrochen und einer rief: «Es brennt im Oberdorf». Die drei liefen auf und davon, ich hinterher. Allerdings kam ich nur bis zum Löntschwerk. Mit den Beinchen eines Sechsjährigen konnte ich dem horrenden Tempo meiner Spielgenossen schlichtweg nicht folgen. In der Nähe ihres Hauses nahm mich die Frau unseres Gemeindeförsters Hans Müller an der Hand und führte mich über das «Durschen» nach Riedern. Auf halbem Wege kam mir meine Schwester mit ihrer Freundin Ruth weinend entgegen. «Es sind Kinder ums Leben gekommen», erklärte sie in Tränen aufgelöst und ich solle sofort wieder nach Hause gehen. Ich sei zu klein, dem schrecklichen Unglück beizuwohnen. Frau Müller führte mich trotz den Einwänden meiner Schwester weiter zu einer Hügelkante, von wo ich die Rettungs- und Löschaktionen der Feuerwehren mitverfolgen konnten. Meterhohe Flammen loderten aus dem Gebäude, dazwischen gab es immer wieder Lärm von einstürzenden Gebäudeteilen. Hilferufe gellten aus dem Haus. Eine Frau versuchte, aus dem Fenster zu springen. Feuerwehrleute wollten mit einer mechanischen Holzleiter die Frau zu retten. Der Leiterkopf fing an zu brennen und die Rettungsaktion scheiterte.
Dramatische Ereignisse auf dem Brandplatz
Die Situation wurde immer dramatischer. Eine andere Person kletterte einem Dachkännel entlang in Sicherheit. Laute Befehle ertönten auf dem Brandplatz. Plötzlich ein Aufschrei: Die ganz Nordfront des Fabrikgebäudes stürzte ein. Ich wusste, dass dort irgendwo mein Vater im Einsatz stand, denn mittlerweile war auch die ganze Feuerwehr Netstal mit dem Sturmläuten der Kirchenglocken der Katholischen und der Reformieren Kirche alarmiert. Mein Vater war als Feuerwehrmann eingeteilt bei der Mechanischen Leiter, so wurde diese damals genannt (heute Anhängeleiter). Eine beklemmende Angst überfiel mich und ich bat Frau Förster Müller, sie solle mich doch bitte wieder zurück nach Hause bringen. Wieder zuhause brachten es meine Mutter und meine Schwester Käthi nicht fertig, mich ins Bett zu spedieren. Keine hundert Pferde hätten das fertiggebracht. Erst als mein Vater zu später Stunde wieder zu Hause war, liesss sich Klein Hansemann ins Bett verfrachten