Geschichten aus der Jugendzeit

"Schöne" Bescherung am Heiligen Abend

Von Hans Speck

  

Eine kleine Weihnachtsgeschichte, welche die ganze Strenge und Konsequenz meines Vaters widerspiegelt, passierte an einem Heilig Abend. Ich mag etwa drei oder vier Jahre alt gewesen sein, meine Schwester war sieben Jahre älter als ich;  ich ein kleiner Stumpen, Käthi schon ein wackeres Mädchen. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, ihrem kleinen Bruder ein Vorbild zu sein. Die nachfolgende Erzählung beweist aber das pure Gegenteil.

 

Es gehörte zur Domäne unseres Vaters, jeweils am Heiligen Tag gegen Abend hin den Christbaum zu schmücken. Damit er in seiner streng geheimen Arbeit nicht gestört wurde, schickte er uns aus dem Hause. „Geht doch noch etwas spielen oder zu euren Freunden. Ich muss auf das Christkind warten und darf es ja nicht verpassen“, war seine Ausrede. Einmal war das Wetter so garstig, dass man keinen Hund vor die Türe geschickt hätte. Unsere Mutter befahl, bei ihr in der Küche zu warten, bis das kleine Glöcklein ankündige, dass bei den Speck‘s das Christkind seine Aufwartung schon gemacht habe. Und jetzt kommt‘s knüppeldick! Meine Schwester, nach einiger Zeit schon etwas ungeduldig, forderte mich auf, doch einmal bei der Stubentüre durch das Schlüsselloch zu gucken. Der Not gehorchend, schliesslich war sie mein Vorbild, folgte ich der Aufforderung meiner Schwester. Ein Blick durch das Schlüsselloch eröffnete mir eine völlig neue Perspektive. Ich sah zwar nicht das Christkind in Engelsgestalt, aber meinen Erzeuger, der sich eifrig darum bemühte, nebst farbigen Kerzen und funkelnden Christbaumkugeln, glitzernden Silberfäden auch meine heissgeliebten Schoggimäuse an den Christbaum zu hängen.

 

Diesen einmaligen Anblick wollte ich meiner Schwester nicht vorenthalten. Vor allem stand jetzt die Frage im Raum: Ist unser Vater Julius gar das Christkindli? Ich muss gestehen, ich war damals schon etwas enttäuscht, hatte ich mir dieses doch ganz anders vorgestellt. Während meine Schwester Käthi sich ebenfalls ein Bild vom Geschehen in der Stube machte, ging urplötzlich die Stubentüre auf und Vater Julius stand in seiner ganzen beeindruckenden Körpergrösse unter dem Türrahmen. Was jetzt geschah, haben meine Schwester und ich zeitlebens nicht mehr vergessen. Unser Vater, wutentbrannt, dass wir beide das Netschteler Christchindli definitiv identifiziert hatten, liess in Folge ein gewaltiges Donnerwetter über uns ergehen und schickte uns, seiner Standardstrafe gerecht werdend, am Heilig Abend "uuni Znacht i ds Bett!“ Da nützte alles Betteln unserer lieben Mutter, den Heilig Abend doch noch friedlich zu feiern, nichts. Es gab keine Geschenke, kein feines Nachtessen aus Mutters Küche. Unser Vater war beim Durchsetzen seiner Strafen immer knallhart. Die Bescherung fand dann trotzdem einen Tag später am Weihnachtstage statt, allerdings in etwas gedrückter Stimmung. Unser "Christchindli“ war halt mit uns immer noch stinkesauer!