Wini - Netstals Dorfclown in den 60er und 70er-Jahren

Von Hans Speck 

 

Er hiess Erwin Büchi und wohnte in Netstal in einer der Wohnungen bei den «Neuen Häusern». Seine zahlreichen Streiche, kuriosen und teils skurrilen Auftritte in den 60er- und 70er-Jahren erreichten manchmal die Grenzen des Erlaubten. Sie sind vor allem bei uns älteren Semestern immer noch präsent. Unser Protagonist, von allen einfach nur «Wini» genannt, war ein schlaksiger, zuweilen schlitzohriger Netstaler mit blonder Elvis-Frisur. Sein Schalk und sein Humor leuchteten buchstäblich aus seinen Augen. Was den Wini auszeichnete, waren seine vielfältigen Talente als Sportler und eine gewisse Affinität zur Clownerie. Dort, wo der Wini auftauchte, gab es immer viel zu lachen, sei es auf dem Fussballplatz, auf dem Turnplatz oder im Restaurant.

 

Wini, das Fussballtalent

Beispielsweise auf dem Fussballplatz: Wenn er nach dem Aus-Kick des Torwarts den Ball in seinen meistens übergrossen «Tschutthosen» verschwinden liess, als Schellläufer auf das gegnerische Tor zustürmte, den Ball kurz vor der Torlinie aus seiner Hose fallen liess und diesen mit einem letzten Kick noch über die Torlinie bugsierte. Gefürchtet waren auch seine Monstereinwürfe von der Seitenlinie bis in den Strafraum, bis nach endloser Zeit endlich ein Schiedsrichter hinter seinen Trick kam. Wini benutzte nämlich bei seinen langen Einwürfen immer nur eine Hand. Er tat nur so, als hätte er beide Hände am Ball, was eigentlich zu den Fussballregeln gehört hätte. Fussballerisch war er ein Talent, allerdings reichte es trotzdem nur zum Mittelfeldspieler in der 1. Mannschaft des FC Netstal.

 

Wini, der Zirkusartist

Ich mag mich gut erinnern: Es war an einem heissen Samstagabend im Restaurant «Zum alten Rathaus». Einheimische genossen nach dem Untergang der Sonne hinter dem Wiggis den kühlenden Abendwind und sassen im Restaurant. Sämtliche Fenster im 1. Stock waren geöffnet, damit die Hitze entweichen konnte. Unter den Gästen weilte auch unser Wini, talentierter Entertainer, Musiker, Fussballer, Turner und Leichtathlet, eben ein Tausendsassa und jederzeit für einen Schabernack und ein Spässchen bereit. Für uns Kinder war er so etwas wie der Dorfclown. Wenn er jeweils nach Fussballspielen, ob gewonnen oder verloren, auf seinem Saxophon spielend durch das Dorf zog, begleiteten wir Kinder den Wini durch die Strassen und Gassen, manchmal eine lange Polonaise bildend.

Zurück zur Geschichte im Rathaus: Dort floss nicht nur der Schweiss, sondern auch das Bier in Strömen. Oktoberfeststimmung am Fusse des Wiggis, könnte man sagen. Mitten in dieser Hochstimmung stand der Wini plötzlich von seinem Stuhl auf, sprang auf den Tisch und lief bolzengerade über den Tisch zum offenen Fenster hinaus. Wir alle sprangen erschrocken auf, Schlimmes ahnend, denn immerhin befand sich das offene Fenster über vier Meter über dem Parklpatz. «Hoffentlich lebt der Wini noch!» war unser Gedanke. Und wie er lebte! Fröhlich lachend und mit der Hand winkend gab unser lebender Gummiball Entwarnung und die Bestätigung, dass ihm nicht passiert sei. 

 

Wini, das ausgekochte Schlitzohr

Ich erinnere mich aber auch an jenen Tag, als der Wini an unserer Haustüre läutete und meiner lieben Mutter selig hoch und heilig versicherte, er hätte den Töff meines Bruders gekauft und ob sie ihm nicht den Töff-Schlüssel geben könne. Gutgläubig, wie meine Mutter eben war, händigte sie den Schlüssel dem Wini aus. Als mein Bruder Wisi von seinem damaligen Arbeitsort auf der Grande Dixence im Wallis mit dem Zug nach Netstal fuhr, um sein verdientes Wochenende anzutreten, freute er sich auf eine Ausfahrt auf seinem Motorrad. Erstaunt musste er feststellen, dass sein Töff nicht an seinem ursprünglichen Ort stand. Auf die Nachfrage bei meiner Mutter, wo denn der Töff sei, antwortete diese zur Verblüffung meines Bruders: «Du häsch ne ja em Wini verchauft – er isch chu gu frage, eb er törf dr Schlüssel ha und ich ha nem ne gii». Unverzüglich begab sich mein Bruder zum Haus, wo der Wini wohnte. Mittlerweile hatte dieser aber den Töff bereits wieder verkauft. Das allerdings liess sich mein Bruder nicht bieten. Es kam zu einem Nachspiel, welches selbstverständlich zu Gunsten meines Bruders ausfiel. Und wenn wir schon beim Töff sind, nachfolgend noch die Geschichte mit dem Karton-Motorradschild: Damals wurde aus Kreisen der Bevölkerung behauptet, dass der begeisterte Motorradfahrer Wini seinerzeit über Monate, ja sogar über Jahre, mit einem Fahrschild aus Karton mit GL-Immatrikulation in der Weltgeschichte herumgefahren sei, ohne dass die Polizei das je einmal bemerkt habe. Da kann man sich gut vorstellen, was für ein ausgekochtes Schlitzohr unser Protagonist war. Es gäbe noch weitere Geschichten über den Wini. Vielleicht komme ich später einmal darauf zurück.

 

Irgendwann ist unser Dorfclown von der Bildfläche verschwunden. Man vernahm im Dorf, dass er unter dem Namen «Wini» aufgetreten sei und er sogar eine Anstellung als Clown beim Zirkus Knie hätte antreten können. Ob dies nur Gerüchte waren, weiss ich nicht. Ein schwerer Verkehrsunfall mit seinem Töff, an dessen Folgen er noch jahrelang leiden musste, warf ihn um Jahre zurück. Ein letztes Mal habe ich den Wini als Gastwirt in einem Restaurant im glarnerischen Rüti erlebt. Dabei haben wir in Fussball-Erinnerungen geschwelgt. Ein letztes Mal durfte ich noch einmal seinen Schalk und seinen Humor erleben. Vor einiger Zeit habe ich erfahren, dass unser Dorfclown Wini etwas leiser als bei seinen legendären Auftritten unsere Welt verlassen hat. Möge er in Frieden ruhen! 

 

 

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