"Dr Seiler laaht d Füchs use!"

Der „Seiler Ludi“ war Spezialist, den Leuten einen „Bären“ aufzubinden.
Der „Seiler Ludi“ war Spezialist, den Leuten einen „Bären“ aufzubinden.

Von Hans Speck

 

„Buebe, günd weidli hei, dr Seiler laaht d’Füchs use!“ Diese Drohung, egal, ob sie von den Eltern oder von den Nachbarn ausgesprochen wurde, war für uns Buben die ultimative Aufforderung, kurz vor dem Eindunkeln unverzüglich und nullkomma-plötzlich nach Hause zu gehen. Egal, ob wir mitten in einem “Schiitlispiel“ steckten oder uns beim “Versteggis“ amüsierten. Wir hatten damals einen Heidenrespekt vor diesem Seiler und seinen Füchsen. Ob dieser mit jenem Seiler Ludi, von dem nachstehend die Rede ist, identisch ist, weiss ich beim besten Willen nicht. Aber ein perfekter Übergang zur nachstehenden Geschichte ist mir damit bestimmt gelungen.

 

Unser “Seiler Ludi“ war jedenfalls alles andere als ein Kinderschreck. Ganz im Gegenteil. Er war ein “Ur-Netschteler“ von eher kleiner Statur und stets zu Spässen und Sprüchen bereit. Vor allem seine Schlagfertigkeit und seine Sprüche stempelten den “Seiler Ludi“, wie er im Dorf genannt wurde, definitiv zum Dorforiginal. In den Büchern der Gemeindekanzlei ist er unter dem Namen Ludwig Leuzinger, Handelsmann, eingetragen. Er betrieb in Netstal an der Kreuzbühlstrasse einen Gemüse- und Kolonialwarenladen und war Inhaber der “Salzwaage“, der einzigen, staatlich erlaubten Verkaufsstelle von Salz. Zusätzlich konnte man bei ihm während des ganzen Jahres frische Fische kaufen und besonders vor Karfreitag ging’s in der Salzwaage zu und her wie im “hölzigen Himmel“. Ursprünglich hatte er den Beruf als Seiler erlernt, daher auch der Übername “Seiler Ludi“. Seine Devise: “Handwerk hat goldenen Boden“ begleitete Ludi ein Leben lang. Er hatte geschickte Hände und so war es nicht wunderlich, dass diese vielfach von den Einheimischen gerne genutzt wurden. Er beherrschte unter anderem das Verzinnen von Pfannen und Kannen, amtete in Flugjahren als Maikäfersieder beim Chäferloch in der Hinter Allmeind. Für die Gemeinde hatte er das Amt eines Ausrufers inne. Gemeinderatserlasse, Abhaltung oder Verschiebung der Landsgemeinde, von Festanlässen wurden von ihm im ganzen Dorfgebiet austrompetet. Dabei fuhr er auf seinem Velo durch die Strassen, hielt an, blies in sein Feuerhorn, fasste Atem und posaunte seine Neuigkeiten aus. Zum Beispiel, dass da und dort extrafeines Kuhfleisch zu haben sei, das Pfund für sechzig Rappen; dass der oder jener vollreife, zuckersüsse Zwetschgen verkaufe. Meistens fügte er dem amtlichen Text eine Bemerkung bei, etwa dass die notgeschlachtete Kuh aus Liebeskummer gestorben sei, weil der Besitzer seinen Stier verkauft habe. Beim “Seiler Ludi“ wusste man eigentlich nie, was Ernst und was Spass war. Tierisch freute er sich jeweils, wenn er die “Netschteler“ hochnehmen konnte.

 

Im Büchlein “Florians Glarner Müsterli“ von Lehrer Florian Riffel sind einige Trouvaillen des Seilers enthalten. Aus diesem wollen wir dem Leser ein typisches Seiler-Ludi-Müsterchen nicht vorenthalten:

Einmal war die Feuerwehr Netstal zu einem Feuerwehrtag nach Walenstadt aufgeboten. Nachdem jede Sektion ihre ausgesteckte Übung gelöst hatte, Kritik und Notenerteilung vorüber waren, spazierten die Netstal Feuerwächter gegen den See; der Käfersieder auch mit dabei. Weit draussen auf dem See lag ein Ledischiff vor Anker. Auf dem Deck standen Schützenscheiben. Auf diese hätten Soldaten des Waffenplatzes Walenstadt das Schiessen mit Maschinengewehren zu üben, erklärte einer der Anwesenden Ludi wahrheitsgemäss. „Aber werden da nicht häufig auch Fische getroffen?“, fragte einer der Feuerwehrmänner. „Massenweise!“, sagte unser verschmitzter Alleswisser. „Wenn das Schiessen dann fertig ist, fahren sie mit einem Motorboot, das hinten einen amerikanischen Heurechen nachzieht, auf dem See herum, sammeln damit die toten Forellen und Hechte und fahren sie in den Hafen hinein, wo sie dann an die Leute verkauft werden. Das sind die billigen Fische, die ich vor Karfreitag in meinem Laden an der Kreuzbühlstrasse verkaufe.