von Hans Speck
„Du kannst es nicht ahnen, du munteres Rehlein du“, war das Lieblingslied unseres allseits beliebten Kari Stocker. Der kleine, pfiffige und urgemütliche Kari, von Beruf Maler und langjähriger Angestellter beim Netstaler Malergeschäft von Maler Miigg, alias Emil Leuzinger-Kamm, passionierter Jäger und Sänger aus Leidenschaft im Männerchor Frohsinn, hatte mit diesem Gassenhauer aus Deutschland immer wieder seinen speziellen Auftritt. Jedes Mal stand er dabei auf und liess nach dem Lied ein furzendes Geräusch aus seinem Munde. Unser Kari war verheiratet und wohl der Einzige weit und breit, welcher seine Frau "ausgestopft“ auf dem Buffet in der Stube stehen hatte. Zumindest behauptete er das immer wieder, vor allem dann, wenn er wieder einmal einen über den Durst getrunken hatte, und das kam halt ab und zu mal vor. Da gäbe es noch die Geschichte mit seiner Frau in der Fegesandkiste. Die dürfen wir aber aus Gründen der Zensur nicht publizieren, denn diese würde bei manchem vermutlich die Schamröte ins Gesicht treiben. So war er eben, unser Kari. Ein Sprücheklopfer mit viel Phantasie, aber nie beleidigend.
Einer seiner besten Kollegen war mein Götti Chäpp Schmuckli. Gemeinsam gingen die beiden in den Ausgang und machten die Beizen in der näheren und weiteren Umgebung unsicher. Gemeinsam frönten sie aber auch ihrem Hobby, der Jagd. Der Kari und der Chäpp gehörten nicht zur Sorte der "bösen“ Nimrode und waren mehr in den Beizen im Hinterklöntal als auf ihren Streifzügen. Beim Erzählen der unglaublichsten Jagdgeschichten waren die beiden Freunde aber absolute Weltmeister. Ich erlaube mir an dieser Stelle, eine davon zu erzählen, bin mir gleichzeitig aber auch bewusst, dass hinter Geschehenem und Phantasie ein grosses Fragezeichen gesetzt werden muss - Jägerlatein in wahrsten Sinne des Wortes!
Einmal hat’s die beiden beim Erzählen einer ihrer Jagdgeschichten bös erwischt. Dies nur, weil sie während der Hochwildjagd in einem bekannten Restaurant im Hinterklöntal wieder einmal zu gesprächig waren. Doch die Geschichte der Reihe nach. In besagtem Restaurant sassen einige bestandene Klöntaler Jäger und "bützerten“ über ihre bisherigen Abschusserfolge. Kari und Chäpp, von Abschusserfolgen eher nicht verwöhnt, hörten sich die "Räubergeschichten“ ihrer Kollegen geduldig an, wohl wissend, dass man da nicht mithalten konnte. Nachdem die Klöntaler Jäger ihr Pulver buchstäblich verschossen hatten, kam der Auftritt unsere beiden Netstaler Protagonisten.„Was ihr da verzelled, isch im Vergliich, zu dem, wo mir üüch jetz verzelled, zweiti Klass Chuehfleisch“, monierte der Chäpp in die Tischrunde. „Dernig we ihr händ“, und damit tüpfte er mit seinen beiden Zeigefingern an den Kopf und meinte damit zweifellos gehörntes Wild, „händ mir Zwii schuu lang. Ihr müend nu i Schwiizer übere guu (damit meinte er über die Grenzen in den Kanton Schwyz gehen). Dett ännä händ’s Hirsch we Sand äm Meer. Mir zwee händ eine überätribe und eine hätt nä dä gschosse, und zwar ä Kapitale.“ Kari bestätigte die Aussage von Chäpp mit wohlgefälligem Kopfnicken. Doch das Erzählen dieser Geschichte hätten die beiden Nimrode wohl besser sein lassen, denn kurz darauf wurden der Chäpp und der Kari vor den "Kadi“ zitiert und dort hörte sich die Justiz die unglaubliche Geschichte der Beiden nochmals an. Allerdings wurde diese von den Zweien etwas kleinlauter als in der Beiz im Hinterklöntal vorgetragen.
Im Nachhinein weiss man: Die Geschichte muss sich offenbar trotzdem zugetragen haben, denn kurz darauf wurden der Kari und der Chäpp mit einem Jagdverbot über längere Zeit von den glarnerischen Gerichtsinstanzen drakonisch bestraft. Dass da ein Dritter, nämlich der Schütze selbst, mit im Spiel war, haben die beiden Unglückseligen lange Zeit kollegial, selbstverständlich gemeinsam mit ihrem Auftraggeber, verheimlicht. Nun, wie heisst es in Karis Lied doch so schön: „Du kannst es nicht ahnen, du munteres Rehlein, ä pardon, Hirschlein, du….“