von Hans Speck
Die älteren Semester von Netstal erinnern sich gerne an die beiden legendären “Chäppä“. Der eine hiess Weber, der andere Schmuckli. Beide waren bei der Netstaler Bevölkerung beliebte und populäre Originale, vielleicht sogar die letzten, die in unserem Dorfe ab und zu für Furore sorgten. Chäpp 1 (das war der Weber) und Chäpp 2 (das war der Schmuckli) waren bei der Gemeinde als Hilfsarbeiter angestellt und mit ihren orangefarbenen Arbeitskleidern kaum zu übersehen. Das Duo “Chäpp und Chäpp“ kannte mittlerweilen jedes Kind im Dorf und die Popularität der beiden Strassenwischer entsprach jederzeit jener des Gemeindepräsidenten. Selbst die bekannten Schnitzelbänggler “Rätschbäse“ benutzten über die Fasnachtszeit die Namen der beiden “Chäppe“ als ihr Pseudonym. Täglich von morgens früh bis Feierabend, sogar manchmal bis zur Polizeistunde, waren die “Siamesischen Zwillinge“ zusammen und verrichteten bei Wind und Wetter, manchmal mehr oder weniger motiviert, ihre Arbeiten, und wenn es ihnen zu bunt wurde, war kurzerhand eine Pause angesagt. Während dieser Zeit war keiner von beiden zu keinem Zeitpunkt einem kühlen Bierchen oder einem wärmenden Schnäpschen abgeneigt. „Mir sind d’Original Netschteler Striichmusig“, frotzelte mein Götti, der Schmuckli Chäpp. Kaum einer hätte seine berufliche Tätigkeit in der Gemeinde besser und blumiger umschreiben können als er. Tatsächlich gehörte das Streichen zu den Haupttätigkeiten der beiden Chäppä. Mit ihren Reisbesen säuberten sie jahrzehntelang tagtäglich die Strassen, Gassen und Plätze in unserem Dorfe. Niemand konnte es ihnen deshalb verargen, wenn sie im Laufe der Zeit gemeinsam einen eigenen Arbeitsrhythmus entwickelten. Dazu gehörten halt auch ihre unvermeidlichen Pausen ganz nach Bedarf. Nachstehend zwei kleine Episoden, welche nebenbei auch in der Chronik “100 Jahre Feuerwehr Netstal“ festgehalten wurden.
Chäpp 1
Seine grossen Auftritte hatte Chäpp Nummer 1 jeweils an der Feuerwehr- Hauptversammlung. Früher wurde diese bekanntlich traditionsgemäss immer am ersten Februarsamstag durchgeführt. Um diese Jahreszeit war vielfach auch Fasnacht, und so liess es sich der oft nach einem Feuerwässerchen benannte Chäpp 1 nicht nehmen, als “Maschger“ verkleidet, mit viel Klamauk und Lärm die Hauptversammlung der Netstaler Feuerwächter mit einer stimmungsvollen Ouvertüre zu eröffnen. Spätestens zum Zeitpunkt, als Chäpp 1 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an den Hauptversammlungen teilnehmen konnte, wurde vielen bewusst, dass das “i-Tüpfchen“ an der Hauptversammlung künftig fehlen würde.
Chäpp 2
Der Schmuckli Chäpp war bekannt für seine kernigen Sprüche und sein Aufmucken gegen die Feuerwehr-Obrigkeit. Die Versammlungsteilnehmer quittierten seine Auftritte mit schallendem Gelächter. Seine obligaten Zwischenrufe, bei denen er weder den Kommandanten, dessen Chargierte, noch die anwesende Polit- und Feuerwehrprominenz verschonte, bleiben unvergessen. Und wenn Chäpp 2 einmal zu stark gefordert wurde, liess er seine (vermeintlichen) Muskeln spielen. So geschehen einmal nach einer Hauptversammlung im Saale des Restaurants Harmonie. Während das Gros der Feuerwehrmänner sich unten im Restaurant vergnügte, blieben die eben frisch in den Kreis der Feuerwehr aufgenommenen Rekruten im Saal zurück. Dabei nutzten diese die Gelegenheit, die noch halb vollen Bierflaschen auszutrinken. Chäpp 2, der wohl etwas zu tief ins Glas geschaut hatte, und in folgedessen am Tische eingeschlafen war, erregte die Aufmerksamkeit des Netstaler Feuerwehr-Nachwuchses. Nachdem die Lausebengels Chäpp einige Zeit mit allerlei Schabernack gehänselt hatten, erwachte Chäpp 2 jäh aus seinem Tiefschlafe, rollte seine Augen und schnauzte die verdutzten Bengels an: “Früener hett mä dere we üüch mit eim Streich undere Tisch gschlage!“ Sprach's und setzte seinen Tiefschlaf einfach einen Stock tiefer im Restaurant fort.
Amüsante Geschichten zu Chäpp 1 und Chäpp 2 von Hans Speck:
Der Befehl lautet: „Zur Strafe Herdöpfel spitze!“
Immer wieder haben mir ehemalige Angehörige des Gebirgs-Füsilier Bataillons 85 haarsträubende Geschichten über meinen Cousin und Götti Chäpp Schmuckli erzählt. „Dr Schmuggli isch dr beschti Soldat vu dr Schwyzer Armee und vum 85gi“. Diese Behauptung entspricht vermutlich nicht der Tatsache, sondern war eher ironisch gemeint. Chäpp war mit seiner antimilitärischen Einstellung sicher nicht unbedingt ein Freund der Schweizer Armee. Vor Beginn meiner Rekrutenschule in Chur gab er mir den gutgemeinten Rat: „Häns, i dr RS chasch dis Hirni abschalte. De Höche dängged dä schu für dich. Heb dr Sorg und chumm gsund wieder retour“.
Trotzdem freute er sich jeweils tierisch auf die drei Wochen WK. Das Treffen mit seinen Dienstkollegen bedeutete ihm immer sehr viel und der Dienst für das Vaterland war für ihn selbstverständlich. Vielmehr tat er sich mit Vorgesetzten schwer, die mit Ausrufen und Herumkommandieren täglich ihre Macht demonstrierten. „Das sind ja alles nur Bräzälibuebe“, betitelte er manchmal etwas despektierlich Offiziere und Unteroffiziere sowie die „Weicheier“ in seiner Kompanie. Absoluten Gehorsam interpretierte der Chäpp völlig anders als seine Dienstkameraden. „Dr Chrieg gwünne cha mä nu mitenand“, war seine feste Überzeugung und damit hatte er wohl Recht.
Chäpp war vom Charakter her ein gelungener Mix von HD-Soldat Theophil Läppli und dem braven Soldaten Schwejk. Mit seinen Ideen und Auftritten brachte er die hohen Offiziere manchmal fast an den Rand der Verzweiflung. „Dr Chäpp Schmuggli isch im Dienscht schu ä Cheib gsii!“, wurde mir von seinen Kollegen zugetragen. Dabei wurden die wildesten Geschichten über meinen Götti erzählt. Ob sich alles wirklich so zugespielt hat, lassen wir mal offen. Viele seiner Geschichten und Reminiszenzen hat er mir kurz vor seinem jähen Ende selbst erzählt. Über seine Dienste in der Armee hat er aber stets beharrlich geschwiegen. Warum weiss nur er selbst! Trotzdem habe ich mich nach seinem plötzlichen Tod durch einen Verkehrsunfall weiterhin für das bewegte Leben des letzten Netstaler Originals interessiert. Bei meinen Recherchen bin ich auf seinen besten Militärkumpel Kaminfeger Ernst Fischli gestossen. Der wusste auf Anhieb Geschichten über sich und seinen Freund Chäpp zu erzählen. Eine davon wollen wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten. Die nachfolgende Geschichte beweist, dass die beiden Freunde sich in vielen Beziehungen sehr ähnlich waren.
Doch lasst hören:
Wieder einmal wurde das Duo Chäpp und Ernst zur Strafe zum Küchendienst eingeteilt. Auf dem Menüplan des Küchenchefs stand „Gschwelti mit Chäs“. Der Befehl lautete klar und unmissverständlich „Herdöpfel spitze!» Diesem Befehl nachkommend, fingen die beiden mit dem Schälen der Kartoffeln an. Auf einmal bemerkte der Fischli, dass der Schmuckli mit einem Kartoffelschäler Herdöpfel um Herdöpfel schälte. „Was machsch dä du da Chäpp?“, war die Frage vom Kaminfeger aus Ennenda. „Was du hier machst, ist Befehlsverweigerung. Du musst die Kartoffeln wie einen Bleistift zuspitzen. Die müssen so aussehen wie die meinen! Der Befehl hat doch gelautet: „Herdöpfel spitze!“ „Du häsch eigentlich recht“, erwiderte der Chäpp. „Mir wänd doch nüd dr Befeel verweigere!“
Gesagt - getan. Als der Küchenchef die wie Bleistifte zugespitzten Kartoffeln sah, bekam er einen Tobsuchtsanfall. „Händ ihr überhaupt e Egge ab – verreised, üch zwii chame nüd ämal i dr
Chuchi bruche“! „Jä, was hämmer dä iez wieder bosget“, fragten sie scheinheilig den erbosten Küchenchef, „mir zwii händ ja nu dr Befehl vu dir uusgfüehrt, und der hät gheisse
„Herdöpfel spitze!“ Bevor der Küchenchef endgültig explodierte, liessen der Chäpp und der Ernst eilends die Küche hinter sich. Beleidigt verschlauften sie sich nach ihrem Rauswurf
gefechtsmässig in Räumlichkeiten, die ihnen weit sympathischer waren, als die Küche vom IV/85. In der Folge verzichtete die Schweizer Armee auf die Dienste der beiden Küchentiger Fischli und
Schmuckli.
"Hee, da wird dä nüd täägelet!“
Die nachfolgende Geschichte von meinem Götti Chäpp Schmuckli durfte ich selbst live miterleben. Tatort war das Restaurant Harmonie an einem späten Samstagabend. Die Protagonisten waren zwei stockbetrunkene Männer und eine schwarzhaarige Schönheit als Serviertochter. Einer der beiden Männer war wie erwähnt mein
Götti Chäpp, seines Zeichens wohl letztes Original in unserem Dorf. Der andere war ein kleinwüchsiger Italiener - nennen wir ihn mal einfach Giovanni – mit auffallend abstehenden Ohren und einer fettglänzenden Glatze; also alles andere als ein Casanova, verschweige denn ein Don Juan. Beide konnten kaum mehr stehen, so
betrunken waren sie. Doch alles der Reihe nach.
Auf dem Weg zu meiner Stammbeiz "Harmonie“ hoffte ich auf einen friedlichen und gemütlichen Samstagabend. Dort angelangt, setzte ich mich - Macht der Gewohnheit - an den Stammtisch, wo bereits mein Kumpel Wälä, mein Götti Chäpp und zwei andere Einheimische sassen. Am anderen Ende des Tisches sass der kleine, untersetzte Giovanni. Nach mehreren "Römer Kalterer“ hing der kleine Süditaliener praktisch wehrlos in den Seilen, was ihn aber nicht daran hinderte, der Serviertochter jedes Mal beim Vorbeigehen einen Klaps auf ihre beachtliche Kehrseite zu geben. Das goutierte mein Götti, ebenfalls vom Alkohol schwer gezeichnet, überhaupt nicht. „De huerä Täägelete hört jetz dä uuf!“, ermahnte er mit rollenden Augen den pfiffigen Giovanni aus der Provinz Regio di Calabria. Dabei liess er seine Muskeln spielen, die er, um ehrlich zu sein, eigentlich gar nicht hatte. Mit den Worten „Nuch ämal ä dr Servieri e z Füdle lange und dä chlipperets!“, erklärte er seinem Gegenüber unmissverständlich den Krieg. Allerdings machten die Drohungen dem kleinen Glüschtler überhaupt keinen Eindruck. Schon beim nächsten Ausschank langte Giovanni nochmals mit aller Kraft der Serviertochter an den Allerwertesten. Das war genau der Moment, wo bei Chäpp alle Glocken von Rom läuteten. Fast gleichzeitig erhoben sich beide von ihren Stühlen – beim Alkoholpegel der beiden wäre das Wort "aufspringen“
übertrieben gewesen - und wollten sich an die Wäsche gehen. Im selben Moment fielen die beiden Kampfhähne zu Boden, zufälligerweise mein Götti oben und Giovanni auf dem Rücken. Damit war der Kampf aber auch schon vorbei! Mit bemerkenswerter Schnelligkeit setzte Chäpp sich wieder an den Stammtisch und sprach mit stolz geschwellter Brust zu den Anwesenden: „Händ er gsii, we das gaat“. Sprach’s und setzte sogleich in Siegermanier seine Biersafari fort. Der kleine Don Giovanni aber verliess mit gesenktem Kopf, merklich schwankend und
ohne "Arrivederci“ zu sagen das Lokal. Das Lokal, in dem er wohl eine seiner grössten Niederlagen seines Lebens erlitten hatte. Zutiefst war sein italienischer Stolz verletzt.
"Chäpp 1" und "Chäpp 2" – zwei Originale protestieren
Hier eine weitere, amüsante Geschichte von unseren beiden bekannten Dorforiginalen Chäpp & Chäpp. Mit einem Schmunzeln auf meinen Lippen erinnere ich mich immer wieder gerne an meinen Götti, der mir kurz vor seinem brüsken Lebensende, als hätte es sein müssen, noch viele Geschichten aus seinem interessanten, spannenden und bewegten Leben erzählte. Ich möchte diese den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten. Mein Götti wollte dies zwar nicht, aber sicher wird er mit einem Augenzwinkern meine, respektive seine Geschichten auf irgendeiner Wolke zwischen Himmel und Erde als Engel Kaspar mitverfolgen. Ich danke ihm an dieser Stelle übers Grab hinaus für sein Verständnis!
Einmal beantragten die beiden Protagonisten eine Aussprache mit dem damals amtierenden Gemeinde-oberhaupt zwecks einer Lohnerhöhung. Die Audienz wurde den beiden gewährt und eines Tages standen die beiden "Chäppen" in voller Arbeitskluft vor der präsidialen Bürotüre und begehrten Einlass. Auf ein kurzes Pochzeichen tönte es aus dem Büro freundlich: „Herein – Bitte setzt Euch und bringt Euer Anliegen vor!“ „Wir wollen mehr Lohn, Herr Gemeindepräsident – die Strassen und Wege in unserem Dorf werden von uns beiden seit Jahren immer sauber gehalten und im Winter sind wir die Ersten, die bei Ihnen den Weg vom Schnee
freischaufeln. Wir machen diese Arbeit bei Wind und Wetter und eine kleine Lohnerhöhung würde unserem Geldbeutel gut tun!“ Das Gemeindeoberhaupt nahm dieses Begehren freundlich lächelnd zur Kenntnis und bedankte sich auch artig für die Privilegien, die ihm von den beiden zugesprochen wurden. Allerdings sei
eine Lohnerhöhung im Moment aufgrund einiger Vorkommnisse nicht opportun. Man werde das Anliegen prüfen und später beurteilen. Im Moment sei Geduld angesagt.
Es wäre nun masslos übertrieben, zu behaupten, die beiden wären ob der Abfuhr ihres obersten Chefs glücklich gewesen. „Das hat Konsequenzen!“, meinte der Schmuckli Chäpp. „Nächste Woche ist der Personalausflug der Gemeinde und da streiken wir.“ Der andere Chäpp, der Weber, war mit dem Vorschlag seines Kumpels sofort einverstanden. Nach einer längeren Krisensitzung im Rathaus und in feuchtfröhlicher Stimmung hielten die beiden Kriegsrat und kamen zum endgültigen Entschluss, gleichentags, wo der Personalausflug stattfindet, in
voller Arbeitsmontur sich vor dem Gemeindehaus zu treffen, um den Anschein zu erwecken, sie würden an Stelle eines Ausflugs ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Gesagt, getan! Das gesamte Personal der Gemeinde Netstal versammelte sich auf dem Gemeindehausplatz und wartete auf das Erscheinen des Reisecars. Demonstrativ zeigten sich beide in vollem Kriegerschmuck vor dem Gemeindehaus und freuten sich an den verdutzten
Gesichtern ihrer Vorgesetzten und Arbeitskollegen. Gleichzeig mit der Abfahrt des Reisecars begaben sich die beiden in ihrer orangen Arbeitskleidung zum Bahnhof in Netstal und lösten je ein Billett Netstal – Zürich Hauptbahnhof retour. In Zürich angelangt suchten sie schnurstracks das Zürcher Niederdorf auf und
vergnügten sich bis spätabends in den einschlägigen Baren und Restaurants auf der berüchtigten Zürcher Sündenmeile. Beinahe den letzten Zug nach Ziegelbrücke verpassend, kehrten beide leicht geistlich beschiffschaukelt, aber zufrieden über den Verlauf ihrer Protestaktion, allerdings mit wesentlich leichterem
Portemonnaie wieder zurück ins Dorf am Fusse des Wiggis. Ob diese Aktion im Zusammenhang mit der Lohnerhöhung gefruchtet hat, hat mein Götti mir aus absolut verständlichen Gründen verschwiegen.
Goldvreneli am Strassenrand
Wieder einmal entfernten die beiden unzertrennlichen Zwillinge Ch & Ch - Netstals Strassenmusikanten, wie mein Götti Chäpp Schmuckli zu sagen pflegte - im südlichsten Teil des Dorfes, genauer gesagt bei der Villa von alt Gemeindepräsident Gabriel Spälty-Lehmann, Dreck und Unrat, die ein heftiges Unwetter am Vorabend hinterlassen hatte. Der Arbeitsbefehl kam von höchster Stelle, direkt vom Werkführer. Aufmerksame Autofahrer und Passanten bemerkten, wie der Chäpp Weber immer die rechte Strassenseite als Arbeitsfeld bevorzugte und der andere, der Schmuckli, deswegen Vorliebe mit der linken Strassenseite nehmen musste. Das war nicht ganz zufällig vom schlitzohrigen Weber Chäpp so ausgedacht. Dieser erhoffte sich nämlich ein zusätzliches Trinkgeld, wenn er vor der Türe reicher Herrenleute mit seinem Reisbesen wischen durfte. Dieses offensichtliche Kalkül hatte aber der Schmuckli Chäpp längstens durchschaut. Es war ganz offensichtlich, warum sein "Zwillingsbruder“, der Weber, auffallend gerne die rechte Strassenseite, also jene in Fahrtrichtung Glarus, bearbeitete. Es war nämlich die Seite, auf der die Villen der Fabrikanten Sauter und Copetti und des Versicherungs- Generalagenten Nater standen. Mein Götti war, wie er mir selber sagte, gewaltig erzürnt, und sein Ärger war deswegen gross. Doch dem Frieden zuliebe verzichtete er auf ein Renkontre mit seinem Arbeitskollegen. Dies dauerte aber nur solange, bis der Krug oder das Mass endgültig randvoll war. „Ich muss mir etwas ausdenken“, sagte sich mein Götti. Irgendwann überfiel ihn ein Geistesblitz, der genialer nicht hätte sein können. „Der macht solchen Schabernack nicht mehr lange mit mir“, sagte sich der Chäpp Schmuckli. So kam es, dass eines schönen Tages, als wieder das Villenviertel zum Reinigen auf dem Programm stand, er sich beim Wischen immer wieder bückte und so tat, als würde er etwas vom Boden auflesen. Dieses Prozedere wiederholte sich mehrmals und immer wieder kurz hintereinander. Mit der Zeit fiel dieses komische Vorgehen auch dem Weber auf. Mit arglistigen Augen musterte er seinen vermeintlichen Konkurrenten auf der anderen Strassenseite. „Da lauft öppis nüd äso suuber“, dachte er sich. So kam es, dass der Weber den Schmuckli zur Rede stellte und wisse wollte, warum er sich denn immer wieder bücke und dabei etwas auflese. „Was machsch dä du immer äm Bodä undä?“, war seine Frage. Jetzt schlug die Stunde von meinem Götti Chäpp Schmuckli, und er antwortete seinem verdutzten Kumpel: „Ez hani innerhalb vunere Halbstund sächs 20er-Goldvreneli uff dr Strass uf minere Siite gfunde.“ Ungläubig in die Welt schauend und fassungslos vom eben Gehörten erwiderte der Weber dem Schmuckli: „Das isch nüd gerächt – das muess mä ändere - more guu dä ich uff dini Siite!“ Damit war das Problem gelöst und fortan wechselten die beiden Strassenwischer von nun an jeden Tag die Strassenseite, allerdings blieb ab sofort auch der Goldvreneli-Segen aus. Das abschliessende Feierabend-Bier diente den beiden Netschteler Strassenmusikanten dazu, ihre Kameradschaft wieder aufzufrischen. Und nach Aussagen absolut glaubwürdiger, damaliger Zeitgenossen soll es bei den beiden "Chäppen" nicht bei einem Bier geblieben sein!