Von Hans Speck
Der “Schwii-Res“ – sein richtiger Name war Andreas Stüssi (1892) – war im Haus am Rank in Riedern gemeinsam mit seinen Geschwistern und Stiefgeschwistern Verena (1893), Peter (1893), den Zwillingen Lina und Regula (beide Jahrgang 1901), Susanna (1904) und Samuel (1907) aufgewachsen und besuchte die dortige Primarschule. Seinen nicht unbedingt vorteilhaften Übernamen bekam unser Protagonist zur Zeit, als er in unserem Dorf bei den Leuten Essensreste einsammelte. "Schwii-Choscht“, nannten wir das Sammelgut. Res fütterte damit die Schweine ganz in der Nähe der Chalchi-Kantine, wo er auch wohnte. So war es nicht wunderlich, dass er bei den Einheimischen bald einmal "Schwii-Res“ genannt wurde. Einen Übernamen hatte man bekanntlich in Netstal schnell einmal bereit! Gemäss Aussagen damaliger Zeitgenossen muss er damals aus verständlichen Gründen keine grosse Freude an diesem Übernamen gehabt haben. Mit der Zeit gewöhnte er sich an diese Situation und bald einmal war es im absolut schnuppe, wenn ihm Netstals Lausbuben, zwar immer aus respektvoller Distanz, zuriefen: „Hey Schwii-Res, häsch d’Chübel wieder voll?“ Notabene war auch ich einer dieser Lausbuben.
Res Stüssi war genauso wie sein Vater ein bärenstarker, grossgewachsener Mann mit beinahe asketischen Gesichtszügen. Eines seiner Markenzeichen war seine Toscana oder eher selten eine Brissago, die er permanent schräg in seinem Mundwinkel eingeklemmt hatte. Ob der Glimmstängel brannte oder nicht, spielte bei ihm keine Rolle. „D’Hauptsach, es rücht“, beantwortete er einmal die dämliche Frage eines Dorfbewohners, warum er denn seine Toscana immer im Mund trage, obwohl diese gar nicht mehr brannte. In Erinnerung geblieben sind mir seine beeindruckend riesigen Hände. Er hatte tatsächlich Hände wie Schneeschaufeln, und mit diesen wusste er anzupacken. Als geschätzter Angestellter im Steinbruch der Kalkfabrik zeigte er manchem jungen Kalkfabrikarbeiter, was Arbeit ist und auch bedeutet. Sein Vater muss ihm dabei Vorbild gewesen sein, denn dieser hatte es bis zum Vorarbeiter in der Kalkfabrik gebracht. Res war trotz seiner hünenhaften Gestalt ein eher introvertierter und äusserst feinfühliger Mensch. Obwohl er nie Kinder gehabt hatte, muss er diese geliebt haben. Das bekamen wir als dorfbekannte Lausebengels zu spüren, vor allem dann, wenn wir von Res wieder einmal ein Bild gemalt haben wollten. Er versprach nicht nur den Kindern, dies zu tun, nein er überbrachte sein vollendetes Werk jeweils höchstpersönlich an einen vereinbarten Treffpunkt. Sein Talent als begabter Maler kam beim Betrachten seiner Bilder zu Tage. Rehe, Bambis, Tiger und Zebras gehörten zu seinen Lieblingsmotiven. Trotz seinen riesigen Händen wusste er mit feinsten Pinseln umzugehen. Ich erinnere mich gerne an den Res, wie er uns Kinder mit seinen tollen, wunderschönen und perfekt mit Wasserfarben gemalten Bildern viel Freude bereitete. Auf die Frage: „Res, malsch mir äs Bild?“, kam seine Gegenfrage: „Was witsch dä gmalet ha?“ Für mich malte er einmal einen liegenden Tiger, dies in perfekter Ausführung, fast wie ein Foto. Dieses hing lange in meinem Schlafzimmer im Elternhaus am Kirchweg. Bei der Hausräumung nach dem Tode meines Vaters ist dieses Bild leider verloren gegangen. In späteren Jahren bis hin zu seiner Pensionierung verdiente Res sein Geld als Störarbeiter, unter anderem in einer Firma im Horgenberg als Spezialist für Bruchsteinmauern. Viel in seinem Leben ist schief gelaufen, aber immer wieder hat er sich aufgerafft und sich zurückgekämpft. So leise wie er sein Leben gelebt hat, so leise hat er sich von unserer irdischen Welt verabschiedet. Res ruhe in Frieden!