Von Hans Speck
Als Netstaler älteren Jahrgangs mag ich mich an die "Salzwaage“, den munzig kleinen Einkaufsladen an der
Kreuzbühlstrasse, gut erinnern, einerseits wegen meiner hübschen Schulkollegin Susi, andererseits wegen Susis Mutter, der immer aufgestellten und stets zu einem Spässchen bereiten oder Witz erzählenden "Tante Schuggi“. Ihr richtiger Name war Trudi Schmitz-Leuzinger und sie war die Tochter von "Seiler Ludi“, über den ich schon im Kapitel über Netstaler Originale geschrieben habe.
Die Salzwaage an der Kreuzbühlstrasse
Ursprünglich wurde die Salzwaage von Ludwig Leuzinger, alias "Seiler Ludi“ betrieben. Er war Inhaber dieses Ladens an der Kreuzbühlstrasse, der einzigen, staatlich erlaubten Verkaufsstelle von Salz. Sein Gemüse- und Kolonialwarenladen florierte, denn dort konnte man während des ganzen Jahres frische Fische kaufen und besonders vor Karfreitag ging’s in der Salzwaage zu und her wie im "hölzigen“ Himmel. Später übernahm seine Tochter Trudi Schmitz, geborenen Leuzinger die "Salzwaage“. Und genau hier beginnt meine Geschichte :
Ab und zu musste ich im Auftrage meiner Mutter in die "Salzwaage“ einkaufen gehen. Meistens war das am Tag vor Karfreitag. Da wurden Fische wie Forellen, Egli und Felchen fangfrisch von "Tante Schuggi“ über den Tresen gereicht. Aber auch sonst gab es im engen Lädeli an der Kreuzbühlstrasse fast alles einzukaufen, was so ein
Kleindiscounter in dieser Zeit anbieten konnte. Vom Speise- oder Streusalz – darum auch der Name Salzwaage – über Früchte und Gemüse bis hin zu Getränken und sogar Seifen und Waschmitteln. Das Verkaufen von Salz und Lebensmittel in der Netstaler Salzwaage wurde für Trudi Schmitz im Laufe der Jahre aber immer härter. Sie bekam den Trend der Bevölkerung zum Einkaufen in grösseren Discountläden drastisch zu spüren. Hauptkonkurrenten waren der Konsum (später Coop) an der Hauptstrasse und später der Migros bei der Ennetbachstrasse. Da mein Vater über Jahre im Konsum-Verwaltungsrat sass, war es selbstverständlich, dass meine Mutter dort einzukaufen hatte. Umso mehr freute ich mich jeweils, wenn mich Mutter damit beauftragte, in der Salzwaage irgendetwas einzukaufen, was gerade kurzfristig gebraucht wurde. Weitere Möglichkeiten zum Salz einkaufen hätte es in Beeler‘s Reformhaus im Ennetbach oder im USEGO-Laden von Otto und Berteli
Müller an der Landstrasse gegeben. Es war aber der heimelige, spezielle Charme dieses kleinen Ladens und vor allem die liebe "Tante Schuggi“ welche mich als kleiner Junge immer wieder anlockten. Da konnte mir der Konsum, Migros, Usego und wie sie alle hiessen, gestohlen bleiben. "Tante Schuggi‘s“ heiteres Lachen und ihre neuesten Witze hatten es mir angetan. Vielfach stopfte sie jeweils nach getätigtem Einkauf noch zusätzlich einen leicht verwelkten Salat, ältere Kartoffeln, einen Mohrenkopf oder ein Brügeli oder das von mir über alles geliebte "Ticki“ in die Einkaufstasche. Eine tolle Frau, die ich nie vergessen werde!
Die Salzwaage am Kirchweg
Es existierte aber in unserem Dorf noch eine zweite Salzwaage. Diese stand am Kirchweg zwischen dem Restaurant Salmen und der Bäckerei Läderach. Der Eingang zur Salzwaage war auf der Ostseite des Hauses. Es gab zwei Zugänge. Einer führte nördlich zwischen der Salzwaage und dem Malergeschäft Maler Zbinden hindurch, der andere vom Kirchweg her. Das Spezielle in dieser Salzwaage war, dass die Kunden ihre Salzsäcke zum Einkaufen selber mitbringen mussten. Ein Teil dieses Hauses gehörte den Gebrüdern Kubli. Der andere Teil des Hauses war im Besitze meiner Grosseltern Adam und Katharina Schmuckli-Kubli. Nach dem Tode meiner Grosseltern zügelte meine Familie vom Postweg in die alte Salzwaage. In welchen Jahren und wie lange die Salzwaage am Kirchweg betrieben wurde, weiss ich nicht. Ob die beiden Kubli-Brüder selbst Salz verkauft haben, weiss ich ebenfalls nicht. Sicher ist es aber kein Zufall, dass die beiden Brüder hier im Dorf als der "Salzger Jost“ und der "Salzger Heiri“ bekannt waren.
Salz vielfältig angewendet
Das Salz verkaufte man damals wie heute für die Küche zum Würzen, zum Konservieren verschiedener Lebensmittel, beispielsweise für Metzgereien, damit die Haltbarkeit des Fleisches durch Pökeln verlängert werden konnte und Streusalz im Winter zum Auftauen vereister Strassen und Wege. Salz brauchte beispielsweise aber auch meine Mutter, um den lästigen Rossschnecken, die in ihrem liebevoll gehegten Gemüsegarten alles wegfrassen, den Garaus zu machen; eine Methode, die heutige Tierschützer auf die höchsten Palmen treiben würde.
Das weisse Gold
Das Speisesalz hatte schon früh einen Platz in der Kultur der Menschen. Schon die Sumerer und Babylonier nutzten Salze zur Konservierung von Lebensmitteln. Salz war begehrt und in bestimmten Regionen rar. Im Mittelalter und in späterer Zeit mussten für Salz hohe Summen bezahlt werden. Doch nicht die Gewinnung des Salzes machte es wertvoll, sondern der Transport und der Handel. Durch den Handel mit Speisesalz wurden viele Städte zu reichen Metropolen. Wie wertvoll Speisesalz war, ergibt sich aus der Bezeichnung "weißes Gold“. Und das Wort "Salär“ entstammt der Zahlung von Lohn oder Sold in Form von Salz. In der "Geschichte des Kantons Glarus“ von Jakob Winteler ist die Sprache von Ohmgeldern. Das waren damals eine Umsatzsteuer auf geistigen Getränken, die Zölle und das Salzregal. Diese Gelder waren eine ausgezeichnete Einnahmequelle und warfen grössere Beträge ab. Wie wichtig das Salz war, beweist die Tatsache, dass nach dem Brand von 1861 in Glarus Kredite für den Wiederaufbau der Landesgebäude, unter anderem des Salzhauses, bewilligt wurden.