Zum Jahresprogramm der sechsten Klasse gehört nebst der Schweizer Geografie auch etwas Staatskunde; für Schülerinnen und Schüler in diesem Alter eine trockene Materie. So war ich immer bestrebt, etwas zu machen, was den Kindern den Umgang mit diesem Fach erleichterte und sie zur Eigentätigkeit anhielt. Weil ich die Glarner Parlamentarier persönlich kannte und mit Ständerat This Jenny befreundet war, konnte ich bei ihm jeweils einen Termin zu einem Besuch im Bundeshaus während der Sommersession in Bern abmachen. Ende der 90-er Jahre waren die Sicherheitsbestimmungen noch lockerer, und wir wurden jeweils von This im Besucherportal abgeholt und einer Person übergeben, die uns das Bundeshaus zeigte.
Da wir uns in der Schule für diese Exkursion vorbereitet hatten, wussten die Kinder schon ein paar Dinge und hörten bei der Führung deshalb gut zu, weil Bekanntes aufgefrischt oder erweitert wurde. Auf jeden Fall bekam ich immer Komplimente für die interessierten Kinder. Diese Komplimente gab ich gerne an sie weiter. Weniger begeistert waren die Schülerinnen und Schüler von den Debatten im Nationalratssaal. Sie waren erstaunt, wie wenig Nationalräte im Saal waren und darüber, dass kaum jemand dem Redner oder der Rednerin zuhörte. Die wenigen, die anwesend waren, lasen die Zeitung oder diskutierten miteinander.
Am Schluss der Führung sassen wir alle in einem grossen Sitzungszimmer und This Jenny beantwortete die Fragen, die die Kinder in der Schule vorbereitet hatten. Einmal waren sogar alle Glarner Parlamentarier, die Ständeräte Fritz Schiesser und This Jenny und Nationalrat Werner Marti, anwesend und jeder beantwortete die gestellten Fragen. Wenn ich dies einem Nichtglarner erzähle, kann er dies kaum glauben.
Eine Antwort von This Jenny ist mir in Erinnerung geblieben. Ein Mädchen fragte, wen er sich als Königin der Schweiz vorstellen könnte. This schmunzelte, fand aber schnell einen Namen: "Ruth Dreifuss kann ich mir gut als Landesmutter vorstellen." Diese Aussage erstaunte mich, war doch Ruth Dreifuss aus der SP oft Gegnerin von This und seiner Partei. Die magere Präsenz im Nationalratsaal gab auch Anlass zu Fragen. Doch This hatte auch da eine Erklärung: "Diese Referate dienen der Orientierung der Besucher und der Presse. Die Meinungen der Parlamentarier sind längst gemacht. Wenn es zur Abstimmung kommt, gibt es in der Wandelhalle ein Signal und der Saal füllt sich schnell!"
Die Fragen zu seiner Jugend beantwortete er offen und ehrlich. Er gab zu, dass er, weil er nie Sackgeld gehabt hatte, jeweils am Samstagmorgen – damals musste man am Samstag noch zur Schule gehen – die Schule geschwänzt habe, um ein paar Franken zu verdienen.
Nach der Fragestunde war es Zeit für das Mittagessen. Wir hatten schon zuhause abgemacht, dass jede Arbeitsgruppe dort essen durfte, wo sie wollte. Für den Nachmittag trug jedes Kind Aufgabenblätter bei sich. In Dreier-Gruppen hatten sie Aufgaben zum Münster, zum Rathaus, zum Bundeshaus, zum Zytglogge Turm, zum Bärengraben und zu verschiedenen Brunnen zu lösen. Es machte Sinn, dass die Gruppen diese Örtlichkeiten aufsuchten, weil die Lösung der Aufgabe meistens auf einer Orientierungstafel zu finden war.
Bevor ich die Kinder gruppenweise auf dem Bundesplatz zum Mittagessen entliess, konnte ich noch auf etwas Einzigartiges in der Schweiz hinweisen. Ich sah nämlich, dass aus dem Bundeshaus eine mir bekannte Person trat. Ich fragte die Kinder: "Seht ihr den Mann dort bei der Türe? Wer ist dies?" Weil wir daheim diese Exkursion vorbereitet hatten, kam die Antwort sofort: "Bundesrat Samuel Schmied." Er schritt ohne Begleitung oder Bodygards über den Bundesplatz zum Mittagessen. Später sah ich ihn im gleichen Restaurant, in dem wir assen, am Nebentisch. In einem anderen Land der Welt wäre dies kaum möglich.
Noch besser kam es, als vom linken Flügel des Bundeshauses auf dem Trottoir ein grosser Mann Richtung Bundesplatz lief. Ich stellte wieder die gleiche Frage: "Wer ist das?" Die Kinder erkannten sofort Pascale Couchepin. Dieser sah uns, steuerte sofort auf uns zu und begann ein Gespräch mit den Kindern. Er wollte wissen, woher sie kämen und wie sie Bern fänden. Zum Schluss meinte er zum Schüler Markus, er müsse mehr essen, denn er sei viel zu dünn.
Meine Frau und ich machten auch einen Rundgang durch die Altstadt von Bern und trafen immer wieder Gruppen an, die eifrig Aufgaben lösten. Um halb sechs trafen wir uns am Bahnhof, wo wir den Zug nach Zürich bestiegen.
Ein erlebnisreicher Tag ging mit der Verabschiedung der Schülerinnen und Schüler in Netstal zu Ende. Für mich war eine solche Exkursion immer eine Freude, denn ich merkte, dass meine Schulkinder das Vertrauen, das ich ihnen schenkte, immer wieder rechtfertigten.